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Die Performerin als Touristin, dieTouristin

als Heldin (?) ... und umgekehrt

 

Mia Unverzagt ist eine Künstlerin, deren in den vorliegenden Episoden vorgestellte Arbeit  eine Lücke füllt, die zwischen den aufgeführten Bildern, die vom Stoff der klassischen Antike bis zur zeitgenössischen Performance reichen, und der live art seit der Jahrhundertwende entstanden ist. Wir werden mit seltsam disparaten Figuren und in Szenen eingebetteten Bildern konfrontiert, die sich – gemäß den Überzeugungen der Künstlerin –  einer linearen Struktur verweigern und jeglicher eindimensionalen thematischen Interpretation widerstehen. Natürlich ist damit nicht etwa ein Mangel an Struktur gemeint, sondern vielmehr werden durch verschiedene Assoziationen organischere Muster gezeigt und in Verbindung zu den Vorläufern eines großen Teils der zeitgenössischen Kunst gebracht –  dem Ritual.

 

Wie Lévi-Strauß bereits zeigte, zersetzen Riten und Mythen Ereignisstrukturen und setzen sie wieder zusammen. Sie benutzen sie als unzerstörbare Elemente für strukturelle Muster, in denen sie entweder als Mittel oder als Ziele fungieren. Ich vermute, dass es im vorliegenden Falle genau darum geht. Eine Performerin mit Augenbinde, auf die außen Kinderaugen gedruckt sind, läuft durch die Straßen von Havanna. Auf einmal fühlen wir uns zurückgeworfen auf den Ödipus von Sophokles, der erst blind werden musste, bevor er sehen konnte, was alle anderen schon lange sehen konnten. Gleichzeitig ist die untergründige Wahrheit, die durch die Kinderaugen offensichtlich wird, überall zu fühlen. Doch die Performerin, und damit die Performance, werden nur durch die Interaktion mit der Öffentlichkeit bestimmt. Sie ist eine „Ausländerin“ wie der thebische König einer war. Eine Touristin – genauso wie Kolumbus ein Tourist war – und war nicht Odysseus der größte aller Touristen?  Der schwierige Drahtseilakt zwischen Theaterfigur, Suchender, Ausländerin und Touristin – der Touristin letztlich als Heldin – durch Fotos von Touristen, die auf Podesten stehen, gelingt wunderbar. Sie stehen auf den golden gesprayten Podesten wie Skulpturen griechischer Gottheiten im Louvre. Genau richtig positioniert in der Balance zwischen klassischer Haltung und Kitsch. Doch die magischen und heroischen Kräfte des olympischen Helden und Abenteurers sind ersetzt worden durch die Kraft des allmächtigen Dollars.

 

Diese Arbeiten sind Kompositionen, die aktive Zuschauer und die Einmischung und  Konfrontation von diesen brauchen – und das stellt sie eindeutig in die Tradition der Performanceavantgarde. Die Konfrontationsmethoden der italienischen Futuristen brachten diese unter die Zuschauer und dadurch wurde ihr angeblich „immuner“ Hafen in einen Performanceraum verwandelt. Die Methode, die direkte Konfrontation mit der Öffentlichkeit zu suchen, fand ihr Echo in den Performances der Dadaisten, zuerst in Zürich, später in Paris. Und so weiter bis zu den Experimenten in den 60er Jahren und danach. Doch glücklicherweise werden diese Konfrontationselemente in Unverzagts Arbeit nicht einfach wiederholt, sondern einbezogen mit einer selbstlosen Ehrlichkeit, Humor und dem Willen zur Nachforschung, die eine Assoziation nach der anderen nach sich ziehen.  Fragen, Fragen und nochmals Fragen – sie sind viel wichtiger und enthüllender als bereits im vorhinein feststehende Antworten. Das Episodische, das Don Quixotische, das Odysseushafte – wie immer Sie es nennen wollen – ist die ideale Form für diese scheinbar unverbundenen Fragmente. Durch die Verbindung verschiedener Elemente entsteht eine neue, andere Struktur, die aus sich heraus in den Gefilden einer von Performance bestimmten Welt ihre Legitimität bezieht.

 

Rick Takvorian